Urologische Privatpraxis 
Privatdozent Dr. Rainer A. Bürger

Interview mit PD Dr. Rainer Bürger

     
Prostatakrebs schon ab 40?       
     

Rund 325.000 Männer leben in Deutschland mit der Diagnose Prostatakrebs, schätzungsweise 63.000 erkranken jährlich neu. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes verstarben 2004 mehr als 11.000 Männer an Prostatakrebs, der damit häufigsten Krebs-erkrankung des Mannes, der dritthäufigsten Krebs-Todesursache und längst nicht mehr eine Krankheit des alten Mannes. Diesem Problem müssen sich inzwischen Männer „in den besten Jahren" stellen. Heute erkranken Familienväter, Männer im Alter von 40 bis 50 Jahren. Das Schlimme daran ist, sie merken es nicht einmal. Prostatakrebs macht über eine lange Zeit hinweg keinerlei Beschwerden. Doch eine Heilung ist nur möglich, wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt wird. Vorsorge-untersuchungen ab dem 45. Lebensjahr, frühzeitige und regelmäßige Bestimmung des PSA-Wertes haben vor diesem Hintergrund allergrößte Bedeutung. Während es bei Operationen früher vornehmlich um die Entfernung des Tumors ging, geht es bei den heute wesentlich jüngeren Patienten um eine nervenschonende bzw. nervenerhaltende Tumor-entfernung und um die Vermeidung von Inkontinenz und Impotenz. Es geht um die Erhaltung von Lebensqualität. Eine sichere Methode dafür gibt es nicht, wohl aber um das Fingerspitzengefühl und die Kompetenz des Operateurs. Dieser Problematik hat sich Privatdozent Dr. med. Rainer A. Bürger mit Herz und Seele verschrieben. Es hat sich mit sämtlichen wissenschaftlichen und klinischen Problemen der Urologie in all ihren Spezialisierungen auseinandergesetzt. Auch nicht-invasive Techniken der Prostatatherapie und die Urologische Onkologie gehören zu seinen Spezialgebieten. Hohe Qualifikation, jahrelange Erfahrung,  wissenschaftliches Arbeiten, Zielstrebigkeit und nicht zuletzt seine hochspezialisierte Operationspraxis sind in sein zentrales Thema „Früherkennung und Heilung des Prostatakrebses" eingeflossen. Im Sankt Katharinen-Krankenhaus werden zwei- bis dreimal pro Tag radikale Prostataoperationen unter besonderer Berücksichtigung der nerverhaltenden und damit potenzschonenden Operationstechnik durchgeführt.
      
Herr Dr. Bürger, könnten Sie uns bitte zunächst erklären, welche Ursachen Prostatakrebs überhaupt haben kann?

Es gibt genetische Ursachen, man weiß, dass Chromosomenveränderungen in der Erbanlage Prostatakrebs erzeugen können. Es gibt eine Vererbung von Prostatakrebs. Wenn der Vater Prostatakrebs hat, hat der Sohn ein deutlich erhöhtes Prostatakrebsrisiko. Des weiteren müssen Ernährungsfaktoren eine  Rolle spielen. Zum Beispiel gibt es im asiatischen Raum kaum Prostatakrebspatienten. Es gibt eine ganz interessante Studie, aus der man ersehen kann, dass Japaner, die nach dem zweiten Weltkrieg nach USA ausgewandert  sind, Prostatakrebs entwickelt haben, während ihre Verwandten, die in Japan geblieben sind, keinen Prostatakrebs bekommen haben. Es traf also Japaner, die ihre Eßgewohnheiten den Amerikanern angeglichen haben.
      
Früher waren die Patienten zwischen 60 und 70 Jahre alt. Heute sitze ich nicht selten mit Patienten zusammen, die Ende 40 sind und Prostatakrebs haben. Wenn die Älteren mich dann fragen „was kann ich tun?" sage ich „Sie können Ihren Enkeln vorleben, wie man sich gut ernähren soll."  Ungünstig ist es, viel tierisches Fett zu konsumieren. 
      
Schätzungsweise 60.000 Männer in Deutschland erkranken jährlich an Prostatakrebs, wie kann man bereits erste Anzeichen erkennen?
      
Der Patient kann selbst die Anzeichen eines frühen Krebswachstums nicht erkennen. Er kann eine Blasenentleerungsstörung bemerken z.B. dass er häufiger auf die Toilette gehen muss, dass der Harnstrahl abgeschwächt ist, dass der Harn nachträufelt, dass er das Gefühl hat, die Blase wird nicht richtig leer. Das können aber alles Erkrankungen der Prostata sein, sowohl die gutartige Vergrößerung der Prostata, die entzündliche Veränderung der Prostata als auch eine fortgeschrittene bösartige Veränderung der Prostata. Vor 30 Jahren, als ich in der Urologie angefangen habe, hatte der Prostatapatient Beschwerden wie Rückenschmerzen, Knochenschmerzen, Blut im Urin mit deutlicher Erschwernis der Blasenentleerung, teilweise mit einer Harnsperre. Das waren aber alles Patienten in einem fortgeschrittenen Krebsstadium, die man behandeln, aber nicht mehr heilen konnte. Der Patient kann subjektiv einfach nicht merken, ob er einen Prostatakrebs hat. Im Endeffekt muss er das machen, was die Deutsche Gesellschaft für Urologie fordert: er muß zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Bereits ab dem 45. Lebensjahr sollten sich Männer einmal im Jahr beim Urologen untersuchen lassen.                                                        

Bei frühzeitiger Erkennung ist Prostatakrebs vollständig heilbar. Was glauben Sie, warum nehmen dennoch die wenigsten Männer dieses Angebot der Vorsorge-untersuchungen ab dem 45. Lebensjahr wahr?
      
Die Männer in diesem Alter stehen mitten im Berufsleben, sie sind beschäftigt und nehmen sich in dieser Lebensphase am wenigsten die Zeit für sich selbst und ihre Gesundheit. Sie glauben auch gar nicht, dass sie krank sein könnten, denn sie sind ja vital! Eventuell haben die Männer auch noch eine gewisse Scheu, zum Arzt  zu gehen und sich in so einer intimen Zone untersuchen zu lassen.
      
Haben sich Vorsorgeuntersuchungen beim „Männerarzt"  noch nicht in der Weise eingebürgert, wie bei Frauen? Gehen Männer nur bei Beschwerden zum Arzt?
      
Ja, Männer gehen eigentlich nur bei Beschwerden zum Arzt. Es ist ja das Ziel der Urologen, sich als Männerarzt zu etablieren - so wie sich der Gynäkologe als Frauenarzt etabliert hat. Im Bewußtsein des Mannes gibt es bisher keinen Männerarzt. Diese Lücke versucht die Deutsche Gesellschaft für Urologie zu schließen. Doch da sind wir erst am Anfang!
      
Sie hatten es eben schon erwähnt, nicht jede Veränderung an der Prostata muss Krebs sein. Abgesehen von der gründlichen Tastuntersuchung, welche diagnostischen Möglichkeiten setzen Sie ein, um Prostatakrebs frühzeitig und eindeutig zu erkennen?

      
Bei Prostatakrebs bzw. bei der Beurteilung der Prostata gibt es drei standardisierte Untersuchungstechniken. Die Tastuntersuchung der Prostata über den Enddarm, das erfordert Erfahrung. Die Ultraschalluntersuchung der Prostata über den Enddarm, auch das erfordert sehr viel Erfahrung und eine gute apparative Ausstattung. Und die Laboruntersuchung durch den Laborwert PSA (Prostataspezifisches Antigen). Das sind die Säulen in der Prostatadiagnostik. In der gesetzlichen Vorsorgeuntersuchung ist der PSA-Wert nicht vorgesehen, deswegen ist die Empfehlung, dass man den PSA-Wert über den Hausarzt oder Urologen bestimmen lässt. Nur so erkennen wir Karzinome, nur so erkennen wir Auffälligkeiten beim Patienten. Der PSA-Wert ist ein Prostatamarker, kein Prostatakrebsmarker. Er kann uns alarmieren: engmaschige PSA-Kontrolle, Vorstellung beim Urologen, ggf. weitere Abklärung.

     
Das Untersuchungsverfahren der Biopsie (Gewebsentnahme) steht bisweilen im Verdacht, die Tumorzellen, die dann Metastasen bilden, geradezu „auszu-schwemmen".  Wie schätzen Sie das Risiko ein?
      
Ein zu heilendes Prostatakarzinom kann ich nur erkennen, wenn ich eine Gewebsprobe entnehme. Ich kann nicht operieren anhand eines PSA-Nachweises. Zwischen 4 und 10 soll er normal sein, aber das ist heute auch schon überholt. In der Alterstufe zwischen 40 und 50 soll der PSA-Wert nicht höher als 2,5 sein, zwischen 50 und 60 nicht höher als 4,5, aber wir kennen Patienten, wo wir  Prostatakrebs bei einem PSA-Wert von 1,2 nachweisen. Das verändert sich immer mehr, das ist alles im Fluß, deshalb sind diese starren Laborwerte allein gar nicht aussagekräftig. Es gibt beim frühen Karzinom nicht einen Wert oder einen Tastbefund, sondern es sind viele Faktoren und es gilt, sie richtig zu interpretieren. Eine Biopsie ist natürlich ein Eingriff in die Unversehrtheit des Patienten, deswegen müssen erst mal nicht-invasive Untersuchungen stattgefunden haben und man muss sich dann mit den Patienten erneut besprechen. Je nachdem, wie die Werte sind, ist es dann entweder dringend, diese Gewebsprobe zu machen, oder man macht noch einmal eine Kontrolle der Laborwerte. Das Risiko, das immer angesprochen wird, fußt auf einer persönlichen Mitteilung von Professor Hackethal, der Unfallchirurg war und vor 15 Jahren - und damals schon Außenseiter in der Medizin  - gesagt haben soll, man soll die Prostata nicht biopsieren, weil dann Tumorzellen gestreut werden. Eine Aussage ohne wissenschaftliche Grundlage, ohne Untersuchung. Das ist damals auf fruchtbaren Boden gefallen, so daß viele Patienten aus Angst auf eine Biopsie verzichtet haben und einige dann auch verstorben sind. Jetzt war wieder eine Publikation in einem amerikanischen Journal, wo postuliert wurde, dass eventuell Krebszellen verschleppt werden, es gibt dazu aber keine wissenschaftlich fundierte Basis. Sonst  würde keine Internationale Gesellschaft für Urologie in irgendeinem Land die Biopsie propagieren. Wir haben aber auch gar keine andere Wahl! Es gibt nur den Gewebsnachweis! Kein verantwortungsvoller Operateur wird einen Patienten operieren nur anhand von Laborwert und Tastbefund, er muss eine Biopsie haben.  
                                                     

Wird Prostatakrebs diagnostiziert, welche therapeutischen Möglichkeiten stehen dann zur Wahl?
      
Es stehen verschiedene Möglichkeiten zur Wahl: abwarten und nichts tun, Hormontherapie, Strahlentherapie, Operation. Was man wann macht, richtet sich nach dem Alter des Patienten, dem Gesundheitszustand, dem PSA-Wert, dem Tastbefund. Durch weiterführende Untersuchungen kann man beurteilen, wie weit der Krebs sich ausgedehnt hat, ob Absiedlungen in die Knochen oder die Lymphknoten bestehen, wie die Gewebsuntersuchung aussieht: wie aggressiv die Tumorzellen, wie befallen die Gewebsproben sind. Ist in den Gewebsproben weniger als 10 % Prostatakarzinom, ist eine Gewebsprobe zu 100 % vom Karzinom befallen, ist von den Proben nur eine befallen, sind alle befallen? Genauso: hat der Patient Probleme bei der Blasenentleerung, besteht die Gefahr einer Harnsperre, hat er Begleiterkrankungen vom Dickdarm, hat er entzündliche Erkrankungen des Dickdarms, hat er Vorerkrankungen der Blase, hatte er früher schon mal Operationen an der Prostata oder an der Harnröhre? Dann erst kann man festlegen, was für den einzelnen Patienten die ideale Therapie ist.     

Muss die Prostata ganz entfernt werden oder nur befallene Teile?
      
Die Prostata muss bei der Operation, egal ob man minimal-invasiv, also Schlüssellochchirurgie oder Schnittoperation macht, immer komplett entfernt werden. Was man machen kann: Man kann das Nervenbündel erhalten, das auf der Prostatakapsel aufliegt, um optimale Urinkontrolle und Potenz zu erhalten.
      
Die meisten Männer, egal wie alt, scheuen operative Eingriffe aus Angst vor Inkontinenz, Zeugungsunfähigkeit und Impotenz.  Ein offenes Wort: wie hoch sind die Risiken?
      
Entscheidend ist die Potenz. Die Zeugungsfähigkeit  beruht ja darauf, dass man eine Erektion hat und einen Samenerguß. Da mit der Prostataentfernung auch die Samenblasen entfernt und die Samenleiter unterbunden werden, kann es keinen Samenerguß mehr geben. Diese Patienten sind nicht mehr zeugungsfähig. Man könnte natürlich bei diesen Patienten Gewebe aus dem Hoden entnehmen, wo Samenfäden drin sind und eine künstliche Reagenzglasbefruchtung  herbeiführen, das geht, aber sie können nicht auf natürlichem Wege mehr Kinder zeugen. Doch das Ziel ist hier eigentlich der Erhalt der Erektionsfähigkeit, der Potenz. Das ist auch der springende Punkt, warum sich Patienten für die Bestrahlung entscheiden. Da die Radioaktivität eine Langzeitschädigung verursacht, haben am Anfang weniger Patienten eine Potenzstörung. Mit den Jahren allerdings nimmt das deutlich zu, so dass nach fünf Jahren über die Hälfte bis zwei Drittel der Patienten eine Potenzstörung haben. Das Problem bei der Bestrahlung ist, dass man vorher nicht sagen kann, welche Hälfte potent bleibt und welche  Hälfte impotent wird.                                 

Bei der Operation ist die Frage nach der Potenz sehr abhängig von der Operationstechnik. Dabei ist nicht entscheidend, ob man minimal-invasiv oder offen operiert, sondern es  ist entscheidend, dass die Nervenbahnen erhalten werden können. Das erfordert eine minutiöse, millimeterartige Präparation  mit Lupenbrille, mit spezieller Stirnlampe, mit viel Geduld, mit guter Kenntnis der Anatomie und der Vermeidung von elektrischem Strom, weil der diese Nerven sofort zerstört. Wenn man so operiert, kann man bei Patienten unter 65, die spontane Erektion, die für den Geschlechtsverkehr  ausreichend ist  ohne Hilfsmittel wiederbekommen. Wenn beiseits die Nervenbündel komplett erhalten wurden, können 40 bis 50 % der zuvor potenten Patienten - und bei Einnahme von potenzunterstützenden Medikamenten - 80 bis 90 % der Patienten wieder einen zufriedenstellenden Geschlechtsverkehr ausführen. Doch man kann diese nervenerhaltenden Operationen nur bei den Patienten durchführen, die in einem ganz frühen Stadium erkannt werden und die ein Prostata-karzinom haben, was von der Wachstums-Aggressivität nur langsam oder mittelschnell wachsende Karzinome sind. Da ist es ganz entscheidend, wie hoch der PSA-Wert ist, wie viele Gewebsproben befallen waren, wie ausgedehnt der Befall ist, wie das Wachstums-muster ist, und ob in den Gewebsproben das Karzinom an den Rand der Prostata heran reicht. Das ist also eine hochselektive Gruppe, die wir aber durch die PSA-Kontrollen zunehmend bekommen. Wenn die Männer ab 45 wirklich konsequent Vorsorge betreiben würden, dann würden wir mehr Patienten in diesem frühen Stadium bekommen. Diese Patienten könnte man zu über 90 % optimaler Heilung zuführen, man könnte ihnen eine normale Urinkontrolle geben und eine unter Zuhilfenahme von Viagratabletten etc. wieder zufriedenstellende, gute Erektion. 

Das sollte doch Mut machen!  
Ja, doch das erfordert eine sehr gute Auswahl der Patienten, strategisch sehr geschickte Gewebsentnahme, eine gute Interpretation dieser Befunde und eine exzellente operative Ausbildung, weil das wirklich minutiöses, millimeterartiges, mikrochirurgisches operieren ist. Ein breites Spektrum an modernen Therapiemöglichkeiten ist essentiell, um dem Patienten eine individualisierte Behandlung anbieten zu können.
    
Herr Dr. Bürger, herzlichen Dank für das sehr informative Gespräch. 

Das Gespräch führte Ursula Schaffitzel